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Forschungsschwerpunkte

... an der Professur für Politische Philosophie, Theorie und Ideengeschichte:

Politische Theorie der Gegenwart

Anders als bei der Ideengeschichte stehen in diesem Forschungsschwerpunkt Analysen zur Gegenwart im Mittelpunkt. Es geht um die Theoriediskussion seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges, um zeitgeschichtliche Kontexte, gesamtgesellschaftliche Zusammenhänge, gegenwärtige politische und gesellschaftliche Problemlagen.

Der Sammelband „Politische Theorien der Gegenwart in Einzeldarstellungen“ (Riescher 2004) nimmt die aktuellen Entwicklungslinien systematisierend in einem Nachschlagewerk auf. Neuere Forschungs- und Publikationsarbeiten von Prof. Dr. Gisela Riescher analysieren die Folgen des 11. September 2001 für die Theoriebildung in der Politikwissenschaft (vgl. „Politische Theorie nach dem 11. September“, in: Der Staat, 45. Jg., 2006, S. 27-55 und „Freiheit und Sicherheit – Demokratietheorie im Zeichen des Terrors“, in: Friedemann Maurer/Rainer-Olaf Schultze/Theo Stammen [Hrsg.]: Kulturhermeneutik und kritische Rationalität. Festschrift für Hans-Otto Mühleisen zum 65. Geburtstag, Lindenberg im Allgäu: Fink, 2006, S. 647-656). Im Januar 2014 erschien ein von Gisela Riescher herausgegebener Sammelband mit dem Titel "Spannungsfelder der Politischen Theorie".

Parlamentarismustheorie

Dieser langjährige Schwerpunkt verbindet systematisch-theoretische Reflexionen mit der politischen Praxis und systemvergleichenden Analysen. So werden Parlamentarismustheorien als Beiträge zu einem kritischen Diskurs aufgefasst, der sich seit Jahrhunderten in und um konkrete Parlamente entwickelt – von den Anfängen parlamentarischen Verhandelns bis zu aktuellen Parlamentsreformdiskussionen mit Blick auf den Deutschen Bundestag. Dabei geht es etwa um die Idee der parlamentarischen Repräsentation und die Begründung des freien Mandats, die Diskussionen um den Wahlakt, die Entwicklung der Geschäftsordnung, den Diskurs um die Gewaltenteilung oder die Rolle der Opposition.

Wichtige Publikationen in diesem Bereich sind die „Einführung in die Parlamentarismustheorie“ (Hofmann/Riescher 1999), der Sammelband „Zweite Kammern“ (Riescher/Ruß/Haas 2010), der mittlerweile in zweiter Auflage erschienen ist sowie die Dissertation „Niedergang der Parlamente? Transnationale Politik im Deutschen Bundestag und der Assemblée nationale“ (Obrecht 2006). Dr. Marcus Obrecht analysiert hier Auswirkungen von Europäisierung und Globalisierung auf die Funktionsweise des deutschen und französischen Parlaments. 2011 haben Dr. Marcus Obrecht und Tobias Haas einen Beitrag mit dem Titel „Der Landtag von Baden-Württemberg“ in dem von Siegfried Mielke und Werner Reutter herausgegebenen Sammelband „Landesparlamentarismus“ publiziert.

Theorien sozialer Gerechtigkeit

Unterschiedliche Funktionslogiken in den Bereichen demokratische Politik und Marktwirtschaft führen – so die Ausgangsthese in diesem Forschungsbereich – zu einem Spannungsverhältnis in den Gerechtigkeitsvorstellungen.
Die Zustimmung zu demokratischer Politik ist in hohem Maße abhängig von der wirtschaftlichen Entwicklung einerseits und einer erfolgreichen sozialen Integration der Bürger andererseits. Soziale Gerechtigkeit lässt sich im politischen Kontext somit kaum auf eine reine Verfahrensgerechtigkeit reduzieren. Die Diskussion sozialer Rechte beinhaltet immer auch Aspekte der Verteilungsgerechtigkeit. Hierbei ist ein hoher Anpassungsdruck auf das politische Personal, die politischen Entscheidungen und die Parteiprogramme unübersehbar.

Im Unterschied zur demokratischen Politik zielt die Funktionslogik des Marktes auf Effizienz und aus ordnungsökonomischer Sicht im Sinne von Hayek auf die ausnahmslose Gleichbehandlung der Marktteilnehmer. Der Markt als effizientes und produktives System ist zwar – gerade nach dem Zusammenbruch der sozialistischen Experimente – weithin anerkannt, aber andererseits werden die Ergebnisse und die Ungleichheiten, die er produziert, vielfach als „ungerecht“ empfunden.

Soziale Gerechtigkeit und ihr Spannungsverhältnis zur Marktlogik sind Analysegegenstand mehrerer Dissertationsprojekte, die in diesem Bereich betreut und erfolgreich abgeschlossen wurden: zur Legitimation sozialer Gerechtigkeit im liberalen Staat (Timm 2004), zu den Verfassungsreformprozessen in Großbritannien und der Schweiz (Gebauer 2004), zur Rentenreformpolitik in Schweden und Deutschland (Degener 2007), zur regionalen Wirtschaftsförderung (Hutt 2007) sowie zum Thema Gesundheit, Gesundheitspolitik und soziale Gerechtigkeit (König 2009).

Sicherheit und Gesellschaft

Die Sicherheitsarchitektur der Bundesrepublik Deutschland veränderte sich seit dem 11. September 2001 unter der Bedrohung des internationalen Terrors in zunehmendem Maße. „Vernetzung“ ist dabei eines der Schlagworte der neuen Sicherheitsarchitektur. Gemeint sind u. a. die Vernetzungen von Organen der inneren und äußeren Sicherheit, von Polizei und Militär, von staatlichen Sicherheitsorganen mit privaten Sicherheitsdiensten, von nationalen und internationalen Maßnahmen, von Prävention und Kontrolle, von Bürgerbeteiligung und Überwachung. Für die Politikwissenschaft stellt sich die Frage, wie sich eine liberale Gesellschaft verhält, wenn Freiheits- und Partizipationsrechte eingeschränkt werden, wenn klassische Freiheitsrechte wie das Briefgeheimnis angetastet und der elektronische Postverkehr überwacht wird, wenn die Freiheit des Denkens mit der Kontrolle der gelesenen Bücher einhergeht, wenn Versammlungs- und Demonstrationsrechte aus Sicherheitsgründen nicht mehr toleriert werden, wenn öffentliche Plätze, Busse, Bahnen und Flughäfen zu permanent bewachten Sicherheitsschleusen werden und Internierungsformen außerhalb des geltenden Rechts entstehen. Damit ist die klassische Spannung zwischen Freiheit und Sicherheit angesprochen: Wie viel Freiheit darf der Sicherheit geopfert werden? Wo sind einerseits die Grenzen des liberalen Staates, die nicht hintergangen werden dürfen und was ist andererseits das Maß an Grundsicherheit, das menschliche Freiheit erst ermöglicht? Angesichts der aktuellen Bedrohung durch den Terrorismus und im Blick auf die zunehmende „Vernetzung“ der „Sicherheitsakteure“ ist die in der politischen Theorie lange vernachlässigte Frage „Freiheit versus Sicherheit“ neu zu stellen und zu bewerten.

Aktuell widmet sich Prof. Dr. Gisela Riescher dieser Frage im Kontext des Forschungsprojekts „Policy-Making für demokratische Sicherheit“, das Teil der DFG-Forschergruppe „Digitale Tarnkappen“ ist. 2011 ist Gisela Riescher unter anderem im Rahmen der Podiumsdiskussion "Eine alternative Sicherheitspolitik für Deutschland und Europa" (Alternativer Polizeikongress Hamburg) und durch den Vortrag "Der Preis der Sicherheit - Grundrechte im Ausnahmezustand" (Sommerakademie des Cusanuswerkes) an die Öffentlichkeit getreten. 2010 hat Gisela Riescher den Sammelband "Sicherheit und Freiheit statt Terror und Angst" herausgegeben sowie am Symposium „Resilienz in der offenen Gesellschaft“ anlässlich der feierlichen Eröffnung des Centre for Security an Society in Freiburg mitgewirkt (der zum Symposium gehörende, von Gisela Riescher mitherausgegebene Konferenzband erschien ). Prof. Dr. Gisela Riescher ist Gründungsdirektorin des Centre for Security an Society.

Freunde, Gönner, Getreue

In der Vormoderne waren Freundschafts-, Gabentausch- und Patron-Klient-Beziehungen anerkannte, legitime politisch-soziale Konzepte, Risikoabsicherungssysteme und Macht- bzw. Prestigeinstrumente. Der Paradigmenwechsel im 18./19. Jahrhundert setzte das Rationalitätsprinzip durch: Freundschaft wurde von Funktionen entlastet, nach dem Maßstab des interessenlosen Wohlgefallens idealisiert und galt von nun an nur noch in der Privatsphäre ohne Einschränkung als legitim oder wurde als Störung des rationalen Anstaltsbetriebs wahrgenommen. Heutige Politiker gehen in der Regel ambivalent mit dem Begriff Freundschaft um: einerseits inflationär, rhetorisch, manipulativ; anderseits zurückhaltend, skeptisch. Politische Freundschaft ist aber auch innerhalb der Politik moderner Gesellschaften ein wirkungsmächtiges Element im politischen Alltagsgeschäft sowie in Konflikt- und Krisensituationen.

Freundschaft wurde in der politikwissenschaftlichen Forschung bislang stiefmütterlich behandelt. Das interdisziplinär ausgerichtete DFG-Graduiertenkolleg 1288 Freunde, Gönner, Getreue. Praxis und Semantik von Freundschaft und Patronage in historischer, anthropologischer und kulturvergleichender Perspektive  untersucht persönliche, den Familien- und Verwandtschaftskontext überschreitende Nahbeziehungen in unterschiedlichen Zeiten und Kulturen im Spannungsfeld zwischen symmetrischen Loyalitätsbindungen (Freundschaft von Gleichgestellten) und asymmetrischen Beziehungen (Patronage/Klientel). Prof. Dr. Gisela Riescher ist als Vertreterin der Politikwissenschaft am Graduiertenkolleg beteiligt. Zusammen mit Judith Gurr hat sie im Wintersemester 2008/09 ein Hauptseminar zum Thema "Politik in Großbritannien: Strukturen, Institutionen und Netzwerke" angeboten. Ein Schwerpunkt des Seminars lag auf der Analyse informeller Strukturen des Regierens durch Freunde und Freundschaftsnetzwerke mit Mitteln der Kooperation und der Korruption. Im Sommersemester 2011 hat Judith Gurr eine Lehrveranstaltung zum Thema "Die Verderbtheit der Politik. Korruption - unausweichliches Element politischer Ordnung?" angeboten. Frau Gurr hat ihre Dissertation über "Freundschaft und politische Macht. Freunde, Gönner, Getreue Margaret Thatchers und Tony Blairs" geschrieben. Derzeit arbeitet Dorothea Urban an ihrer von Prof. Dr. Gisela Riescher betreuten Dissertation zum Thema "Kontinuität und Wandel von Patronage und Klientelbeziehungen in Italien".

Politik und Zeit

In systemtheoretischer Hinsicht sind politische Systeme wie alle Kommunikations- und Handlungssysteme „temporalisierte Systeme“. Sie sind der Zeit ausgesetzt und nutzen die Zeit zur Reduktion von Komplexität. Sie bleiben instabil, wenn es ihnen nicht gelingt, ihre flüchtigen Systemelemente (Handlungen oder Ereignisse) zu stabilen Systemstrukturen zu verknüpfen. Im Hinblick auf Stabilität sind politische Systeme darauf angewiesen, sich über eigene Zeitstrukturen von der Systemumwelt auszudifferenzieren, um die Steuerungsfähigkeit für die internen Systemprozesse zu erhalten. Für die Politik bedeutet dies Zeitautonomie gegenüber der Umwelt und den Subsystemen, Zeitgewinn für politische Entscheidungen und die Umkehrbarkeit von politischen Prozessen. Mehr denn je stellt sich die Frage, wie politische Systeme unter den Bedingungen einer globalisierten Welt gesteuert werden können, welche Rolle autonome Zeitstrukturen dabei spielen und ob Systemstabilität weiterhin durch die Differenz von System- und Umweltzeit hergestellt bzw. unterstützt werden kann.

Prof. Dr. Gisela Riescher, die in Deutschland zu einem kleinen Expertenkreis zählt, der die Zeitdimensionen politischer und sozialer Systeme erforscht, untersucht das Thema „Politik und Zeit“ in systemtheoretischer, systemvergleichender und politisch-praktischer Hinsicht. Ihre Habilitationsschrift „Zeit und Politik“ (1994) und weitere Publikationen zu diesem Themenfeld finden Sie auf ihrer Literaturliste. Im Sommersemester 2011 hat Gisela Riescher an der transdisziplinären Ringvorlesung "Was ist Zeit?" mitgewirkt und einen Vortrag mit dem Titel "Zeit und Politik" gehalten.

Monarchie

Dieser Forschungsschwerpunkt untersucht die Staatsform der Monarchie sowohl ideengeschichtlich als auch vergleichend.

Ideengeschichtlich ist die Monarchie als eine der ältesten politischen Institutionen überhaupt besonders interessant, da mit der geschichtlichen Entwicklung der Monarchie auch wesentliche Entwicklungen des europäischen Staates insgesamt – vom Absolutismus bis zum Parlamentarismus – einhergehen. Zudem sind wichtige politikwissenschaftliche Theorien, wie z.B. Theorien der Gewaltenteilung, der Repräsentation, des liberalen Rechtsstaates oder der Volkssouveränität, in der historischen Auseinandersetzung mit der Monarchie entstanden und mit der Entwicklung der Staatsform Monarchie verbunden.

Vergleichend werden die über 40 Staaten der Gegenwart analysiert, die Monarchien sind. Hierbei sind absolute genauso wie konstitutionelle und parlamentarische Monarchien anzutreffen. Je nach Monarchieform sind die politischen und symbolischen Funktionen der monarchischen Staatsoberhäupter dabei sehr unterschiedlich ausgestaltet. Eine systematische Analyse aller derzeit existierenden Monarchien wurde mit dem Sammelband „Monarchien“ (Riescher/Thumfart 2008) unter Mitwirkung von Judith Gurr und Tobias Haas erarbeitet. Tobias Haas hat hierzu seine Dissertation „Monarchien versus Republiken" abgeschlossen.

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