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Zum Tode von Wilhelm Hennis

Professor Dr. Dr. h.c. Wilhelm Hennis starb kurz vor der Vollendung seines 90. Lebensjahres in Freiburg i. Breisgau. Mit ihm verlieren das Seminar für Wissenschaftliche Politik, die Philosophische Fakultät und die Universität Freiburg einen hoch renommierten und weit über die Grenzen des Faches hinaus bekannten und geschätzten Politikwissenschaftler. Kritisch, streitbar, leidenschaftlich im Denken – das sind jene Attribute, die Wilhelm Hennis sich selbst zuschrieb. Streitbar in einer und für eine Disziplin, die er liebte, die sich für ihn jedoch seit den siebziger Jahren zu sehr professionalisierte, spezialisierte und methodisch ausdifferenzierte. Kritisch einer Wissenschaftspolitik gegenüber, die aus seiner Sicht die „alte“ Universität humboldtscher Prägung unwiederbringlich zerstörte. Und leidenschaftlich, weil ihm Wissenschaft die Lebensform war, in der er seinen persönlichen Ausdruck suchte und fand. Mit dem von ihm verehrten Max Weber sah er sich darin einig, dass nichts für den Menschen etwas wert sei, „was er nicht mit Leidenschaft tun kann.“ (Zitat aus: Wilhelm Hennis: Politikwissenschaft als Beruf. Erzählte Erfahrungen eines 75-Jährigen.)

Wilhelm Hennis wurde am 18. Februar 1923 in Hildesheim geboren. Seine Jugendjahre verbrachte er in Venezuela, wo sein Vater, der Sohn eines bekannten Hildesheimer Orchideenhändlers, eine Seidenraupenzucht aufbauen wollte. Wieder in Deutschland besuchte Hennis von 1938 bis zum Abitur 1942 ein Internat in Dresden. Eingezogen als Marinesoldat überlebte er in den letzten Kriegsjahren drei Schiffsuntergänge. Nach dem Krieg begann er das Studium der Rechtswissenschaft und wurde 1951 in Göttingen mit einer Arbeit zum „Problem der Souveränität“ von Rudolf Smend promoviert. Erst anlässlich seines 80. Geburtstages wurde seine damals unveröffentlicht gebliebene Dissertation 2003 publiziert. Nach Assistentenjahren in der Politik bei Adolf Arndt und in der Politikwissenschaft bei Carlo Schmid wandte Hennis sich ganz der Politikwissenschaft zu und habilitierte sich 1960 an der Universität Frankfurt. Seine Habilitationsschrift „Politik und praktische Philosophie“ rekonstruiert die Politikwissenschaft aus der aristotelischen Tradition heraus und situiert sie als praxisbezogene Wissenschaft zwischen den Wahrheitsansprüchen der Philosophie und der Empirie moderner Sozialwissenschaften. Hennis entwirft eine Politikwissenschaft, die die zentrale Aufgabe der Politik darin sieht, den Menschen ein würdiges und freies Leben zu sichern.

Nach Professuren in Hannover und Hamburg wurde Wilhelm Hennis 1967 auf den Lehrstuhl von Arnold Bergstraesser an die Albert-Ludwigs-Universität Freiburg berufen, den er bis zu seiner Emeritierung 1988 innehatte. Den Beruf des Politikwissenschaftlers verband Hennis anlässlich eines Vortrages zum Thema „Politikwissenschaft als Beruf“ mit folgenden Anforderungen: „Um Politikwissenschaftler zu werden, muss man die Politik nicht lieben. Es genügt, sie ernst und wichtig zu nehmen […] man muss auch die intellektuellen Werkzeuge, das Organon, in sich entwickeln, die zur wissenschaftlichen Erfassung und Betrachtung der politischen Dinge befähigen.“

Mit der Emeritierung 1988 begann eine Phase intensiver Forschung im Leben von Wilhelm Hennis. Die Leistungen dieser produktiven Jahre setzen sein Lebenswerk kontinuierlich fort, wobei der Focus seines wissenschaftlichen Arbeitens in den letzten Jahren Max Weber galt. Hennis interpretiert Webers Postulat der Werturteilsfreiheit nicht als Methode einer wertfreien Wissenschaft, sondern als „eine lebenspraktische Maxime“, die dem Forscher den Kopf freihalten und ihm Unbefangenheit sichern soll. Seine Publikationen „Max Webers Fragestellung“ und „Max Webers Wissenschaft vom Menschen“ fanden in der nationalen wie internationalen Max Weber-Forschung Anerkennung. Die Biographie von Stefan Schlak „Wilhelm Hennis. Szenen einer Ideengeschichte der Bundesrepublik“ (Beck-Verlag 2008) macht deutlich, dass Hennis nicht nur als Wissenschaftler, sondern auch als kritischer Interpret des Zeitgeschehens und engagierter Parteipolitiker durch seine publizistischen Beiträge den politischen Diskurs der Bundesrepublik Deutschland mitgeprägt hat.

Wenige Wochen nach der Verleihung der Ehrendoktorwürde durch die wirtschafts- und sozialwissenschaftliche Fakultät der Universität Hamburg wurde Professor em. Dr. Dr. h.c Wilhelm Hennis am 24. September 2009 mit dem Theodor-Eschenburg-Preis der Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaft (DVPW) ausgezeichnet. In einem Festakt im Rahmen des DVPW-Kongresses in Kiel ehrte die damalige Vorsitzende Suzanne S. Schüttemeier in Wilhelm Hennis einen herausragenden Politikwissenschaftler für sein Lebenswerk. An den Schnittstellen von Staats- und Politikwissenschaft, von normativ-praktischer und empirisch orientierter Wissenschaft hat Wilhelm Hennis die deutsche Politikwissenschaft wie nur wenige geprägt. Seine Dissertation über das „Problem der Souveränität“, die Habilitationsschrift „Politik und praktische Philosophie“ und seine Arbeiten über Max Weber gehören heute in den Kanon der Politikwissenschaft.

Das Seminar für Wissenschaftliche Politik, die Philosophische Fakultät und die Albert-Ludwigs-Universität Freiburg werden Wilhelm Hennis ein ehrendes Andenken bewahren.


Freiburg i. Br., 11. November 2012

Prof. Dr. Gisela Riescher
 

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